Luc & Dalia 2

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Inhaltsverzeichnis

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Luc hörte sie atmen. Kein Wort. „Dalia?“, drängte er.

Dalia hörte seine vertraute Stimme und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Zerrissen zwischen Wut und Freude fand sie keine Worte. Was bildete er sich eigentlich ein? Sich nach all der Zeit einfach so zurückzumelden?

Ihre Gedanken begannen zu rasen. Erinnerungsschnipsel an die Trennung, mit der sie nie ganz fertig geworden war, mischten sich unter den Nachhall seiner Worte.

„Luc? Was …?“, presste sie heiser heraus.

Er antwortete nicht. Sie nahm seinen schweren Atem wahr. Die Stille zwischen ihnen ließ den Trommelwirbel ihres Herzens bis in ihre Ohren hinein klingen. Sie nahm sich zusammen und brachte ein energisches „Luc?“ heraus.

Dann hörte sie ihn leise sagen: „Ich werde sterben. Schon bald.“

Unvermittelt liefen ihr Tränen über die Wangen: „Was?“, schluckte sie. „Warum?“

„Ich habe Krebs.“

Die Diagnose traf sie wie ein Schlag. Sofort setzte ihre Gegenwehr ein: „Was für ein Krebs? Und bist du sicher? Hast du eine Zweitmeinung eingeholt? Das kann man doch behandeln.“

Sein Lächeln war durch den Telefonhörer spürbar. „Natürlich, ja, aber ich habe entschieden, die Behandlung nicht zu machen.“

„Wie kannst du nur?“, rief Dalia. „Gerade du.“ Wieder brach ihre Stimme. Dann sprach sie verzagt weiter: „Du hattest doch immer so viel Vertrauen in die Universitätsmedizin. Was hat sich geändert?“

„Nun, es wären zwei Monate mehr, und davor viele Monate mit schlechter Qualität.“ Hilflos brach er ab.

„Das klingt wieder mehr nach dir.“ Dalia kaute auf ihrer Haarsträhne. Dann spürte sie, wie ihre Gefühle sich veränderten. Empörung verdrängte ihren ersten Schock. „Und du denkst, ich habe nur darauf gewartet, dass du mich anrufst, um mit dir auf Weltreise zu gehen? Das macht mich fassungslos. Du schaffst es immer noch, einen obendrauf zu setzen.“

Zerknirscht antwortete Luc: „Diese Wort habe ich verdient.“ Er machte eine kleine Pause, bis er weitersprach. „Ich war vollkommen verzweifelt, und dann war ich plötzlich mit dir zusammen auf der Wiese. Das Spiel der Wahrheit, du erinnerst dich?“

Natürlich erinnerte sie sich. Das waren ihre ehrlichsten und innigsten Momente gewesen. Es berührte sie, dass er sich in höchster Not ausgerechnet daran erinnerte. Das hätte sie nicht erwartet.

„Und wie stellst du dir das vor? Ich lasse alles stehen und liegen, um mit dir loszuziehen?“

„Ich …“ Er brach ab. „Also, so weit habe ich nicht gedacht. Es tut mir leid, dich belästigt zu haben.“ Schnell legte er auf.

Fassungslos hörte Dalia den Dauerton aus dem Hörer. „So kommst du mir dieses Mal nicht davon“, dachte sie ärgerlich. Schnell bediente sie die Rückruftaste. Das Freizeichen ertönte. „Los, geh endlich ran“, drängelte sie genervt. Dann hörte sie seine Stimme.

„Hallo, hier ist Luc Lazarowsky. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Ton.“ Sein Anrufbeantworter, den hatte sie schon immer gehasst. Aber sie würde eine Nachricht hinterlassen. „Luc, hier ist Dalia. Auch wenn du stirbst, kannst du höflich sein. Wie kannst du es wagen, mich so zu schockieren und dann damit stehen zu lassen? Feige Ratten bekommen keine Unterstützung von mir, und schon gar keine zweite Chance.“ Sie hatte sich in Rage geredet und es fühlte sich gut an. „Nur, damit das klar ist: Wenn du bereit bist für Offenheit und Mut, dann bin ich auf deiner Seite. Sonst nicht. Und dann lass mich in Ruhe.“

Bei diesem Satz begann Luc zu lachen, lauthals. Er hatte mitgehört und nicht gewagt, den Anruf anzunehmen. Sie war so erfrischend in ihrer Schonungslosigkeit, die man fast grob hätte nennen können. Doch dafür kannte er sie zu gut. Niemand außer Dalia hätte gewagt, so mit einem Krebskranken, noch dazu einem Todgeweihten, zu sprechen. Sie war nicht grob, aber ihre Klarheit konnte schmerzen, und daran hatte sich offensichtlich nichts geändert.

Schnell rief er zurück. Ihr kurzes, knurriges „Ja“ hätte ihn normalerweise auf Abstand gehalten, aber dieses Mal würde er es nicht verbocken. Er hatte schon so viel Zeit verschwendet, und nun war sie für ihn fast abgelaufen. Worauf sollte er also noch warten? Und vor allem: Was hatte er noch zu verlieren?

„Bitte hör mich zu Ende an. Ich weiß, dass ich kein Recht habe, und ich weiß auch, dass ich viel verlange. Keine Ahnung, was mit mir passiert. Ich habe Angst – schreckliche Angst.“ Er machte eine kleine Pause, wartete, ob sie etwas sagen würde. Als sie schwieg, sprach er schnell weiter: „Und ich weiß, dass ich keine zweite Chance verdiene. Ich möchte einfach aufräumen, meinen Frieden mit allem machen und den Rest meines Lebens genießen.“ Er stockte erneut und schob dann ein zögerliches „Mit dir“ nach.

„Hast du das vorher geübt?“, fragte Dalia.

„Nein, das kam gerade so aus mir heraus. Ungewohnt, auch für mich.“

„Das kann man wohl sagen.“ Dalia dachte nach. Jetzt galt es erst einmal, Informationen sammeln. Das würde ihr bei ihrer Entscheidung helfen. „Na, dann lass mal hören. Wie viel Zeit hast du denn für die Weltreise? Und wie stellst du dir das alles vor?“

„Kein Plan. Nur diese Idee.“

Dalia staunte. „Kein Plan? Früher brauchtest du immer einen Plan, möglichst einen, der bis ins Kleinste ausgefeilt war. Kannst du das wirklich? Starten, ohne zu planen?“

„Na ja“, sagte Luc. „So langsam und gründlich, wie ich früher geplant habe, kann ich nicht vorgehen. Dann bin ich tot, bevor ich loskomme.“

Beide lachten unvermittelt.

„Klingt überzeugend.“

Stille dehnte sich zwischen ihnen aus. Keiner sprach. Luc, weil er es nicht wagte, und Dalia, weil sie nicht genau wusste, wie sie sich vor ihm schützen konnte. Spontan wollte sie zusagen, einem Sterbenden schlug man keine Bitte ab. Doch hier ging es um Luc. Den Mann, von dem sie sich immer noch nicht ganz erholt hatte. Luc, der sie so verletzt hatte, dass sie fast daran zerbrochen war. Es hatte sie Jahre gekostet, die Wunden zu verschließen, und doch tat es unter den Narben noch deutlich weh. Es half nichts, eine spontane Antwort würde sie immer bereuen, genauso, wie ihn einfach abzuweisen. Sie fühlte, dass ein Nein die sicherste Antwort für sie selbst gewesen wäre. Schließlich formten ihre Lippen die Worte: „Trotzdem brauche ich Bedenkzeit.“

Luc atmete erleichtert auf. Gerne hätte er gejubelt, doch dafür war es zu früh.

„Ich melde mich morgen.“ Ihre Stimme klang ruhig und bestimmt.

Sie würde sich melden, dessen war er sich sicher. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, dachte er.

Dann machte er sich auf den Weg, einen neuen Koffer zu kaufen. Denn den würde er in jedem Fall brauchen.


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