Die Farben der Trauer oder der Ruf des Lebens

llustration: Ignasi Blanch

Inhaltsverzeichnis

Mir sind Menschen verloren gegangen, noch dazu drei in einer Woche. Sie gingen mir nicht verloren, weil ich achtlos war, sondern weil der Tod sie geholt hat. Es war auch nicht so, dass ich ihren Tod nicht irgendwie erwartet hätte, aber das ändert nichts an meinem Schmerz. Plötzlich waren sie weg und hinterließen eine Lücke. Wären wir ein Chor gewesen, dann hätte jeder seinen Ton gehabt, und zusammen hätten wir einen harmonischen Klang ergeben. Jetzt ist dieser Klang lückenhaft, wie ein Lied, dem Teile fehlen, und ich höre nur die Töne, die nicht mehr da sind.

Verlust, ein unangenehmes Wort und ein noch unangenehmeres Gefühl.

Und als ich den Verlust unerträglich fand, geisterte mir eine Frage durch den Kopf: Welche Farbe hat wohl die Trauer?

Darüber, welche Farbe das Lachen hat, schreibe ich hier:

Blog: Welche Farbe hat das Lachen?

Zurück zur Farbe der Trauer.
Im Westen ist sie schwarz, obwohl Friedhofsblumen weiß sind. Ich erinnere mich, wie ich früher immer gerne auf Friedhöfen war, weil ich die Stille dort mochte. Es war wie eine parallele, friedliche, unwirkliche Welt, neben der normalen. Dort konnte ich träumen und ungestört meinen Gedanken nachhängen. Das änderte sich für mich, als mein Vater starb. Seitdem sind Friedhöfe mir ein Sinnbild für Verlust und Einsamkeit.

Die Gestalten auf dem Friedhof wirken berechtigt farblos auf mich. Manche sind in Grau, andere in Schwarz. Tod ist einfach nicht fröhlich, jedenfalls nicht in unserer Kultur. Wie es wohl wäre, wenn wir uns in Rot zur Beerdigung träfen? Wären wir weniger nach innen gerichtet, mehr dem Leben zugewandt? Das Blöde ist, wir können die Gegenprobe nicht machen.

Ist es möglich, zu trauern und sich gleichzeitig der Welt zuzuwenden? Sicher ist es das. Auf Friedhöfen erscheint mir das Grün der Bäume und Büsche immer grüner als anderswo. Selbst die Vögel singen lauter und das Gras raschelt unnachgiebiger. Mir ist klar, dass all diese Wahrnehmungen ganz persönlich von mir und meinem Zustand abhängen. Und doch möchte ich gerne denken, dass es das Lied des Lebens ist, das nach mir ruft, um mir die Situation erträglicher zu machen. Genauer betrachtet ist es vielleicht so: Im Zusammenhang mit dem Tod erinnere ich mich daran, was das Leben wirklich bedeutet, ich nehme alles deutlicher wahr, weil ich darauf achte, weil ich meinen Platz suche und einen Ausgleich für die Lücke herbeisehne.

Ob es in Ghana besser ist, wenn zu Ehren des Toten eine große Feier ausgerichtet wird? Dort gehen die Menschen in Schwarz und Rot und sie tanzen, um den Toten zu ehren, und sie erzählen sein Leben. Da ist nicht nur Trauer.

Oder in Indien, wenn bei den Einäscherungen der Hindus in Weiß oder Blau gesungen wird, weil man hofft, der Verstorbene möge Erlösung finden?

Mich für ihn zu freuen, den ich so vermisse? Auch das geht. Ich bin im Frieden mit den Dreien, respektiere ihre Entscheidung, diesen Körper zu verlassen.

Dann denke ich an die Ketten orangefarbener Ringelblumen, mit denen in Indien das Holz geschmückt wird, das zur Verbrennung des Körpers bereitliegt. Auch das ist eine Möglichkeit.

Bei den Indianern wird der Verstorbene nicht mehr beim Namen genannt, damit seine Seele frei sein kann. Ein schöner Brauch.

Menschen aller Kulturen erleben Verluste und haben eigene Formen, damit umzugehen. Ob es eine beste Form wohl gibt?

Je genauer ich hinschaue, desto klarer wird mir, dass auch Trauer bunt ist, nur nicht so leuchtend. Frische Trauer nimmt zunächst allem die Farbe, und je länger die Trauer dauert, desto mehr kommt das milde, bunte Leben zurück.

Stell dir eine Welt vor, in der niemand sterben würde. Auch keine wirklich angenehme Vorstellung, oder?

Also ja, einverstanden, er gehört offensichtlich dazu, der Tod, und er macht seine Sache gut. Uns bleibt nur zu lernen, ihn weder zu fürchten noch zu ignorieren – in allen Farbnuancen, damit wir ungestört dem Ruf des Lebens folgen können.

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